Indien/Tantra

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Hätten Sie das in Indien erwartet: spärlich bekleidete Damen, leidenschaftlich verschlungene Paare oder Menschen beim Gruppensex? Wohl kaum, und erst recht nicht in einem Tempel. Zu sehen sind derlei Szenen in Khajuraho, einer über 1000 Jahre alten Tempelstadt im Norden des zentralindischen Bundesstaats Madhya Pradesch. Wobei es sich nicht um echte Menschen handelt, sondern um Skulpturen, die so großzügig wie großflächig die steinernen Tempelwände schmücken. Keine Pose wurde ausgelassen, keine Akt-Stellung schien zu gewagt - und so präsentieren sich die Tempel mit Skulpturen und Friesen von ungenierter Freizügigkeit, sowohl außen als auch innen.

Bei den Besuchern, die ihren Weg hierher finden, löst die heilige Stadt geteilte Reaktionen aus: Einige sind begeistert, andere konsterniert. Es wird also gestaunt und gelächelt, aber auch verlegen gekichert. Oft wird der Kopf geschüttelt, vor allem aber wird eifrig fotografiert, gern auch mit Teleobjektiv, um näher dran zu sein am Geschehen.

Insgesamt gibt sich das Publikum eher prüde. Nicht vergleichbar mit der Zeit, aus der die Tempel und ihre Skulpturen stammen. Als man Leute wie den legendären Vatsyayana und sein Kamasutra offen verehrte. Die altindische Liebeslehre stand damals hoch im Kurs, das Interesse an dieser Thematik war groß. Dieser unverkrampften sexuellen Aufgeschlossenheit hat die Nachwelt auch die Skulpturen zu verdanken.

Die Briten, die Indien von 1858 an als Kolonie unterjochten, zeigten damals wenig Verständnis für die unverblümte Erotik Khajurahos: "Höchst unanständig und (...) ausgesprochen obszön", schrieb 1865 Alexander Cunningham, erster Direktor des indischen Antikendienstes. Ihn empörten vor allem die vielen weiblichen Figuren "die sich ihrer Kleidung entblößen und damit absichtlich zur Schau stellen".

Wäre es nach ihm gegangen, hätte man die Tempelstadt gut und gern dem Dschungel überlassen können, der sie schon einmal, nachdem sie in Vergessenheit geraten war, erobert und unter dichtem Blattwerk versteckt hatte, jahrhundertelang. Erst 1838 wurde sie von dem britischen Offizier Captain T.S. Burt wiederentdeckt. Der war in seiner Einschätzung allerdings toleranter: "Wahrscheinlich die schönste Ansammlung von Tempeln in ganz Indien", schrieb er.

Und in der Tat, es stimmt. Zumal die Atmosphäre in dem verschlafen wirkenden Städtchen angenehm entspannt ist, fast dörflich, fernab der üblichen Hektik indischer Großstädte. Von 85 Tempeln, die vor rund 1000 Jahren unter der Herrschaft der Chandellas errichtet wurden, existieren heute noch 22, verteilt auf drei Gruppen. Die bedeutendsten und schönsten sind die hinduistischen Tempel der Westgruppe. Sie sind eingebettet in einen schönen Park, die Erkundung wird zu einem interessanten Spaziergang.

Wo sich die Hauptattraktionen befinden, erkennt man schnell: Vor den erotischen Skulpturen sammeln sich die meisten Menschen. Auf kleinen Sockeln platziert, präsentieren sich die Figuren wie auf einer Bühne. Manch einem Schaulustigen treiben sie regelrecht die Schamesröte ins Gesicht. So wie jener Inderin mittleren Alters, die, in einen gelben Sari gehüllt, zusammen mit ihrer Familie interessiert die erotischen Szenen betrachtet. Aber dann wird es ihr offenbar zu viel. Auf ein verlegenes Lächeln folgt schließlich der Griff zum schützenden Tuch, um das Gesicht zu verhüllen. Die "Mithuna" ("Kopf nach unten") genannten Akt-Skulpturen hinterlassen auch beim Ehemann Wirkung. Den Kopf leicht nach hinten geneigt und den Blick nach oben, starrt er mit offenem Mund und großen Augen auf die frivole Szenerie. "Was für ein Anblick", mag es ihm durch den Kopf gehen. Minutenlang verharrt er so vor der Tempelwand, bis seine Frau ihn schließlich wegzieht.

Ein französisches Paar, das auf die akrobatisch anmutende Akt-Szene aufmerksam wird, gesellt sich lächelnd hinzu, um alsbald die Frage zu diskutieren, die sich angesichts der ungewöhnlichen Position aufdrängt: Wie, bitte schön, soll das gehen?

Lauscht man einigen Gesprächen der Besucher, hört man heraus, dass viele beim Anblick der erotischen Darstellungen spontan an Kamasutra denken. Jenes altindische Lehrbuch der Liebeskunst, das vermutlich im 3. Jahrhundert verfasst wurde. Es gilt als Meisterwerk der Erotik. Vielen ist es lediglich als eine Art indischer "Stellungskatalog" geläufig, dessen Positionen sie fälschlicherweise in den versteinerten Akt-Positionen erkennen wollen.

Die Forschung geht jedoch davon aus, dass die Skulpturen in Khajuraho und ihre Anordnung eine tiefere Bedeutung haben und mit dem Tantrismus zusammenhängen, einer altindischen philosophischen Lehre, die auch sexuelle Riten zum Inhalt hat. Auch magische Schutzfunktionen schreibt man ihnen zu. Dass die erotischen Szenerien darüber hinaus auch der freudigen Unterhaltung dienten, gilt als wahrscheinlich.

Vornehme Zurückhaltung gegenüber den Liebestempeln übten jahrzehntelang und durch viele alte Auflagen hindurch auch die renommierten Indien-Reisehandbücher des Engländers John Murray. Man erwähnte zwar Khajuraho, aber bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts verlor man kein Wort zu deren pikanten Darstellungen. In Deutschland war es nicht besser. Als 1968 das Buch "Tempel der Liebesfreuden" erschien, erhielt es noch den züchtigen Vermerk "Sonderausgabe für Wissenschaftler und Forscher".

Heute gehen Reiseführer und Fachliteratur offener mit den einmaligen Kulturschätzen um. Und Besucher, die Daheimgebliebenen frivole Grüße aus Khajuraho senden wollen, können aus einem umfangreichen Postkartenarsenal mit mehr oder weniger geschmackvollen Motiven schöpfen.

Die alte Tempelstadt hat jedoch mehr zu bieten, zumal der erotische Anteil am gesamten Skulpturenensemble nur etwa ein Zehntel beträgt. Auch viele andere Figuren faszinieren durch Schönheit und Lebendigkeit: Götter und Fabelwesen, Tiere und Krieger, Tänzer und Musikanten - die Kunst am Bau ist ausgesprochen vielseitig. Herausragend sind die weiblichen Figuren, die üppig und zahlreich dargestellt werden, mal in verführerischen, mal in alltäglichen Posen: beim Entkleiden, Kokettieren, Musizieren oder Frisieren. Sogar der prüfende Blick in den Spiegel und das Schminken der Augen wurden eindrucksvoll in Stein verewigt.

Indien war eben schon vor 1000 Jahren ein Hort der Kultur. Was übrigens auch die Unesco erkannt hat: Sie setzte Khajuraho 1986 auf die Liste der Weltkulturerbestätten.

Tempelbezirk von Khajuraho

Tempelbezirk von Khajuraho

UNESCO-Welterbe

Tempelbezirk von Khajuraho

Staatsgebiet:

Indien

Typ:

Kultur

Kriterien:

(i)(iii)

Referenz-Nr.:

240

UNESCO-Region:

Asien und Pazifik

Geschichte der Einschreibung

Einschreibung:

1986 (Sitzung 10)

Der Tempelbezirk von Khajuraho umfasst eine Gruppe von etwa 20 Tempeln im Zentrum und in der näheren Umgebung der Stadt Khajuraho im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Sie zählen zum UNESCO-Welterbe.

Inhaltsverzeichnis

  • 1Geschichte
  • 2Tempel

o 2.1Westgruppe (Hindu-Tempel)

o 2.2Ostgruppe (Jain-Tempel)

o 2.3Einzeltempel (Hindu-Tempel)

  • 3Architektur

o 3.1Frühzeit

o 3.2Blütezeit

  • 4Skulpturen

o 4.1Frühzeit

o 4.2Blütezeit

  • 5Tempelteiche
  • 6Archäologisches Museum
  • 7Skulpturengalerie
  • 8Literatur
  • 9Weblinks
  • 10Einzelnachweise

Geschichte:

Nahezu alle Tempel Khajurahos wurde von den Herrschern der Chandella-Dynastie zwischen 950 und 1120 erbaut. Die Chandellas waren ein zwischen dem 10. und 16. Jahrhundert regierender Rajputen-Klan, welcher sich um 950 in Gwalior festsetzte. Im 10. und 11. Jahrhundert waren die Chandellas die führende Macht in Nordindien, obwohl sie formell noch bis 1018 Vasallen der Pratihara waren.

Die einzelnen Tempelbauabschnitte in der Übersicht zur Orientierung

Bauriss des Kandariya Mahadeva Tempels. Es findet sich die 64 pada Felder Anordnung. Der kleinere Khajuraho Tempel nutzt die Felder 9, 16, 36 or 49 des Mandala Plans.[2]

Nach dem Niedergang der Dynastie im 12. Jahrhundert wurden die Tempel von Khajuraho kaum noch oder gar nicht mehr benutzt und blieben dem Vordringen des umliegenden Buschlandes überlassen. Der politisch, militärisch und wirtschaftlich bedeutungslos gewordene Ort lag abseits aller Wege und blieb somit auch in der Zeit des islamischen Eindringens in Nordindien von Zerstörungen verschont. Im 18. und 19. Jahrhundert zählte die einstmals bedeutsame Stadt nur noch etwa 300 Einwohner. Im 19. Jahrhundert wurden die Tempel von den Briten "wiederentdeckt". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen systematische Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten, die schließlich zur Wiederherstellung dieses einzigartigen Architektur-Ensembles führten.

Der Vishvanatha-Tempel (ca. 1000) ist Shiva als dem "Herrn der Welt" geweiht. Er besteht wie der ca. 50 Jahre frühere Lakshmana-Tempel aus mehreren Bauteilen (mandapas, antarala und garbhagriha) und ist von einem hohen Shikhara-Turm überhöht. Die mehrstufigen Dachaufbauten der Vorhallen sind dagegen pyramidenförmig gestaltet. Alle Dächer werden von amalaka-Steinen und aufsitzenden kalasha-Krügen überhöht. In der südwestlichen Ecke der Plattform (jagati) steht der sogenannte Parvati-Schrein.

Tempel:

Ursprünglich gab es in Khajuraho etwa 80 Tempelbauten verstreut auf einer Gesamtfläche von ca. 21 Quadratkilometern - heutzutage sind davon nur noch etwa 20 erhalten, von denen die meisten in zwei Gruppen stehen. Die Mehrzahl der Tempel ist den hinduistischen Hauptgöttern geweiht, einige den Jaina-Tirthankaras. Buddhistische Bauten gab es in Khajuraho wohl nicht, jedenfalls wurden keine buddhistischen Skulpturen entdeckt.

Alle Tempel stehen auf 1,50 bis 3 Meter hohen Plattformen (jagatis), die das Bauwerk vor Witterungseinflüssen (Monsunregen) und freilaufenden Tieren schützten. Hinzu kommt eine Sockelzone, die bei den späteren Tempeln (ab ca. 950) mehrfach gestuft ist und durchaus nochmals drei Meter hoch sein kann. Plattform und Sockel tragen natürlich auch zu einer 'Erhöhung' des aufstehenden Bauwerks im übertragenen Sinn bei.

Die Mehrzahl der Tempeleingänge sind nach Osten, also in Richtung der aufgehenden Sonne ausgerichtet, d. h. die Cella (garbhagriha) liegt im Westen. Bei zwei Tempeln ist es umgekehrt: sie orientieren sich nach Westen, d. h. in Richtung der untergehenden Sonne (Lalguan-Mahadeva-Tempel und Chaturbuja-Tempel). Beide Ausrichtungen waren bei indischen Tempeln seit Jahrhunderten möglich und üblich. Die vorderen zwei Begleitschreine des Lakshmana-Tempels liegen einander gegenüber und sind nach Süden bzw. Norden ausgerichtet.

Der dem Gott Shiva geweihte Kandariya-Mahadeva-Tempel (ca. 1050) mit dem höchsten aller Shikhara-Türme gilt als Höhepunkt der Baukunst von Khajuraho. Im Vordergrund kniet eine menschliche Figur, die mit einem Dolch einen scheinbar übermächtigen Löwen tötet - das Emblem der Chandella-Dynastie findet sich an vielen Tempelbauten in Khajuraho.

Westgruppe (Hindu-Tempel):

  • Matangeshvara-Tempel (ca. 950)
  • Varaha-Tempel (ca. 950)
  • Lakshmana-Tempel (ca. 950)
  • Devi-Tempel
  • Vishvanatha-Tempel (ca. 1000)

* Nandi-Schrein

* Parvati-Schrein

  • Jagadambi-Tempel
  • Chitragupta-Tempel
  • Kandariya-Mahadeva-Tempel (1. Hälfte 11. Jh.)

Ostgruppe (Jain-Tempel):

  • Parsvanatha-Tempel (ca. 960)
  • Adinatha-Tempel (ca. 1050)
  • Shantinatha-Tempel
  • Ghantai-Tempel (ca. 990)

Einzeltempel (Hindu-Tempel):

  • Chausath-Yogini-Tempel (ca. 875)
  • Lalguan-Mahadeva-Tempel (ca. 920)
  • Brahma-Tempel (ca. 930)
  • Khakra-Math-Tempel (ca. 980)
  • Vamana-Tempel (ca. 1050)
  • Javari-Tempel (ca. 1100)
  • Chaturbuja-Tempel (ca. 1120)
  • Duladeo-Tempel (ca. 1120)

Architektu:

Die Tempel von Khajuraho bieten die Möglichkeit, auf engstem Raum die Entwicklung der nordindischen Baukunst in einer Zeitspanne von etwa 200 Jahren zu verfolgen - von kleinen (wenig gegliederten, einräumigen und geschlossenen) Tempeln hin zu großen (stark gegliederten, mehrräumigen und offenen) Bauten. Auch die Höhe der Bauten erfährt während dieser Zeit eine enorme Steigerung. Gemeinsam ist nahezu allen Bauten (Ausnahme: Chausath-Yogini-Tempel), dass sie über Dachaufbauten (Shikhara-Türme oder Pyramidendächer) verfügen, die von gerippten amalaka-Steinen und kalasha-Krügen bekrönt werden.

Frühzeit:

Abgesehen vom Chausath-Yogini-Tempel, dem ältesten und vollkommen anderen baulichen Traditionen verpflichteten Tempelbau in Khajuraho, bestehen die frühen Tempel nur aus einer - von einem gestuften Pyramidendach bedeckten - Cella (garbhagriha), der im Fall des Brahma-Tempels noch ein Portalvorbau (antarala), im Fall des Varaha-Tempels und des Matangesvara-Tempels jeweils ein kleiner offener Vorraum (mandapa) vorgesetzt ist. Die Außenwände sind nur geringfügig gegliedert und überwiegend steinsichtig.

Blütezeit:

Die Blütezeit der Tempelarchitektur in Khajuraho beginnt mit dem Lakshmana-Tempel (ca. 930-950), der wahrscheinlich vom Maladevi-Tempel in Gyaraspur und von früheren Tempelbauten in Rajasthan beeinflusst ist, die ihrerseits wiederum allesamt auf die beim Bau des Kalika-Mata-Tempels in Chittorgarh (ca. 700) erstmals entwickelten baulichen Innovationen zurückgeführt werden können. Diese sind im Wesentlichen: mehrere hintereinander liegende, aber harmonisch miteinander verbundenen Bauteile (mandapas, antarala und garbhagriha); gleiche Grundfläche von großer Vorhalle (mahamandapa) und Sanktumsbereich; Cella als eigenständiger Baukörper im Innern; Pfeiler - und nicht mehr Wände - als tragende Stützelemente für die Dachaufbauten - dadurch wurde es möglich, die Räume nach außen hin durch balkonähnliche Vorbauten zu öffnen; mehrfache Abstufung und Gliederung der verbliebenen Wandteile außen wie innen - dadurch treten sie gar nicht mehr als 'Wand' in Erscheinung; Fortsetzung der Außenwandgliederung im Dachaufbau.

Beim Lakshmana-Tempel ist die Cella als eigener, innenliegender Baukörper gestaltet und von einem Umgang (pradakshinapatha) umgeben. Der gesamte Sanktumsbereich sowie seine vier Nebenschreine werden - erstmals in Khajuraho - von steil und hoch aufragenden Shikhara-Türmen überhöht; die weniger wichtigen Vorhallen werden auch weiterhin von den insgesamt flacheren, pyramidenförmigen Dächern bedeckt, so dass eine architektonische Steigerung der Tempel - einem Gebirge durchaus vergleichbar - hin zur Cella erreicht wird.

Die wichtigsten Nachfolgebauten des Lakshmana-Tempels sind der Vishvanatha-Tempel (ca. 1000) und der Kandariya-Mahadeva-Tempel (ca. 1050), bei denen wegen der vielfältigen architektonischen Gliederungen und des dichten Skulpturenprogramms eine Stein- bzw. Wandsichtigkeit nicht mehr gegeben ist.

Skulpturen:

Jeder Bauteil des Kandariya-Mahadeva-Tempels ist mit beinahe vollplastischen und somit lebensnah wirkenden Figuren überzogen - sogar die weitgehend im Dunkeln liegenden Ecknischen. Eine Stein- oder gar Wandsichtigkeit ist nicht mehr gegeben.

Auch im Hinblick auf die Entwicklung der indischen Skulptur bieten die Tempel von Khajuraho einen Überblick über ca. 200 Jahre indischer Kunstgeschichte - von den in Architekturelemente eingebundenen und eher unbewegt und statisch erscheinenden Reliefdarstellungen der Frühzeit bis hin zu den beinahe freiplastisch gearbeiteten und durch ihre Posenvielfalt nahezu lebendig wirkenden Figuren.

Zur Geschichte, Funktion und Bedeutung der erotischen Skulpturen siehe mithunas und Kandariya-Mahadeva-Tempel.

Frühzeit:

Die nur wenig gegliederten Außenwände der frühen Tempel von Khajuraho zeigen kaum figürlichen oder ornamentalen Schmuck. Dieser ist, noch stark reliefgebunden, auf die Portale (Lalguan-Mahadeva-Tempel, Brahma-Tempel) sowie auf einige Fensternischen (Matangeshvara-Tempel) beschränkt. Erotische Skulpturen sind in den frühen Tempeln noch nicht zu finden.

Blütezeit:

Auch hier ist es der Lakshmana-Tempel, der für Khajuraho neue Zeichen setzt: Während die Außenwände der Vorhallen nur wenig figürliche Reliefs zeigen, sind die Wände des Sanktums überreich mit Skulpturen geschmückt. Darunter finden sich Götterfiguren (devas oder devis), "schöne Mädchen" (surasundaris) und Liebespaare (mithunas); auch die ersten erotischen Skulpturen sind in den unteren (erdnahen) Feldern der Mittelregister sowie im Figurenfries der Plattform zu sehen. Die mittleren Felder zeigen dagegen zärtliche Liebespaare mit kleineren Begleitfiguren, die oberen Götterfiguren. Eine Hierarchie der Figurenanordnung ist also deutlich wahrnehmbar. Bei den unmittelbaren Nachfolgebauten (Vishvanatha-Tempel, Jagadambi-Tempel und Kandariya-Mahadeva-Tempel) nimmt die Anzahl der Figuren und somit auch der erotischen Darstellungen zu.

Bei den Jain-Tempeln und den späteren Hindu-Tempeln sind kaum noch erotisch-sexuelle Darstellungen zu finden; hier überwiegt die Anzahl der Götterfiguren manchmal sogar die der "schönen Mädchen".

Tempelteiche:

In unmittelbarer Nähe der Westgruppe, aber außerhalb der eingezäunten Kernzone befinden sich zwei ganzjährig wasserführende Tempelteiche - der Shivsagar-Tank beim Matangeshvara-Tempel und der Chopra-Tank beim Chitragupta-Tempel.

Archäologisches Museum:

Zu den Sehenswürdigkeiten im Bereich des Tempelbezirks von Khajuraho gehört auch das im Ortskern gelegene Archäologische Museum (auch Rani Durgavati-Museum genannt). Es beherbergt einige sehr schöne Skulpturen, die im Rahmen der Ausgrabungs- und Restaurierungsarbeiten gefunden und hierher verbracht wurden, weil sie keinem der erhaltenen Tempelbauten direkt zuzuordnen waren.

Skulpturengalerie:

    Tempelfries

      Tempelfries mit erotischen Darstellungen

        Erotische Szenen

          Musikantenfries

            Tempelfries

              Erotische Szene

                Erotische Szene

                  Erotische Szene, Sodomie

                    Erotische Szene

                      Erotische Skulpturen

                      FREIZÜGIGKEIT

                      Tempel in Khajuraho - Indiens delikates Kulturerbe

                      Spärlich bekleidete Damen und Menschen beim Gruppensex - Darstellungen dieser Art erwartet man nicht unbedingt in einem indischen Tempel. Doch das ist ein Irrtum. Denn die Szenen, die vor etwa 1000 Jahren in Khajuraho in den Stein gehauen wurden, treiben manch einem Besucher die Schamesröte ins Gesicht.

                      Veröffentlicht am 07.12.2009 | Lesedauer: 5 Minuten

                      Von Sascha M. Kleis

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                      Spärlich bekleidete Damen, ...

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                      ... Paare beim Liebesakt...

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                      ... oder Menschen beim Gruppensex - Darstellungen dieser Art erwartet man nicht unbedingt in Indien, und erst recht nicht in einem Tempel.

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                      Doch das ist falsch. Zu sehen sind derlei Szenen in Khajuraho, einer über 1000 Jahre alten Tempelstadt im Norden des zentralindischen Bundesstaats Madhya Pradesch.

                      5 von 16

                      Die steinernen Wände der Tempel sind großflächig mit Skulpturen geschmückt.

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                      Die Darstellungen sind dabei von einer solch ungenierten Freizügigkeit...

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                      ... dass manch einem Besucher beim Betrachten der Figuren die Schamesröte ins Gesicht steigt.

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                      Mal erfordert das Liebesspiel schon ein gewisses Maß an akrobatischem Können...

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                      ... mal sind sogar Tiere am Lustspiel beteiligt.

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                      Von 85 Tempeln, die unter der Herrschaft der Chandellas errichtet wurden, existieren heute noch 22, verteilt auf drei Gruppen.

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                      Die bedeutendsten und schönsten sind die hinduistischen Tempel der Westgruppe.

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                      Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Skulpturen in Khajuraho eine tiefere Bedeutung haben und mit dem Tantrismus zusammenhängen, einer altindischen philosophischen Lehre, die auch sexuelle Riten zum Inhalt hat.

                      13 von 16

                      Auch magische Schutzfunktionen schreibt man ihnen zu. Dass die erotischen Szenerien darüber hinaus auch der freudigen Unterhaltung dienten, gilt als wahrscheinlich.

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                      Die erotischen Skulpturen ziehen zwar die meiste Aufmerksamkeit auf sich - vom gesamten Ensemble machen sie aber nur etwa ein Zehntel aus.

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                      Auch viele andere Figuren faszinieren durch Schönheit und Lebendigkeit: Götter und Fabelwesen, Tiere und Krieger, Tänzer und Musikanten - die Kunst am Bau ist ausgesprochen vielseitig.

                      16 von 16

                      Herausragend sind die weiblichen Figuren, die üppig und zahlreich dargestellt werden, mal in verführerischen, mal in alltäglichen Posen: beim Entkleiden, Kokettieren, Musizieren oder Frisieren.

                      0

                      Hätten Sie das in Indien erwartet: spärlich bekleidete Damen, leidenschaftlich verschlungene Paare oder Menschen beim Gruppensex? Wohl kaum, und erst recht nicht in einem Tempel. Zu sehen sind derlei Szenen in Khajuraho, einer über 1000 Jahre alten Tempelstadt im Norden des zentralindischen Bundesstaats Madhya Pradesch. Wobei es sich nicht um echte Menschen handelt, sondern um Skulpturen, die so großzügig wie großflächig die steinernen Tempelwände schmücken. Keine Pose wurde ausgelassen, keine Akt-Stellung schien zu gewagt - und so präsentieren sich die Tempel mit Skulpturen und Friesen von ungenierter Freizügigkeit, sowohl außen als auch innen.

                      Bei den Besuchern, die ihren Weg hierher finden, löst die heilige Stadt geteilte Reaktionen aus: Einige sind begeistert, andere konsterniert. Es wird also gestaunt und gelächelt, aber auch verlegen gekichert. Oft wird der Kopf geschüttelt, vor allem aber wird eifrig fotografiert, gern auch mit Teleobjektiv, um näher dran zu sein am Geschehen.

                      Insgesamt gibt sich das Publikum eher prüde. Nicht vergleichbar mit der Zeit, aus der die Tempel und ihre Skulpturen stammen. Als man Leute wie den legendären Vatsyayana und sein Kamasutra offen verehrte. Die altindische Liebeslehre stand damals hoch im Kurs, das Interesse an dieser Thematik war groß. Dieser unverkrampften sexuellen Aufgeschlossenheit hat die Nachwelt auch die Skulpturen zu verdanken.

                      Die Briten, die Indien von 1858 an als Kolonie unterjochten, zeigten damals wenig Verständnis für die unverblümte Erotik Khajurahos: "Höchst unanständig und (...) ausgesprochen obszön", schrieb 1865 Alexander Cunningham, erster Direktor des indischen Antikendienstes. Ihn empörten vor allem die vielen weiblichen Figuren "die sich ihrer Kleidung entblößen und damit absichtlich zur Schau stellen".

                      Wäre es nach ihm gegangen, hätte man die Tempelstadt gut und gern dem Dschungel überlassen können, der sie schon einmal, nachdem sie in Vergessenheit geraten war, erobert und unter dichtem Blattwerk versteckt hatte, jahrhundertelang. Erst 1838 wurde sie von dem britischen Offizier Captain T.S. Burt wiederentdeckt. Der war in seiner Einschätzung allerdings toleranter: "Wahrscheinlich die schönste Ansammlung von Tempeln in ganz Indien", schrieb er.

                      Und in der Tat, es stimmt. Zumal die Atmosphäre in dem verschlafen wirkenden Städtchen angenehm entspannt ist, fast dörflich, fernab der üblichen Hektik indischer Großstädte. Von 85 Tempeln, die vor rund 1000 Jahren unter der Herrschaft der Chandellas errichtet wurden, existieren heute noch 22, verteilt auf drei Gruppen. Die bedeutendsten und schönsten sind die hinduistischen Tempel der Westgruppe. Sie sind eingebettet in einen schönen Park, die Erkundung wird zu einem interessanten Spaziergang.

                      Wo sich die Hauptattraktionen befinden, erkennt man schnell: Vor den erotischen Skulpturen sammeln sich die meisten Menschen. Auf kleinen Sockeln platziert, präsentieren sich die Figuren wie auf einer Bühne. Manch einem Schaulustigen treiben sie regelrecht die Schamesröte ins Gesicht. So wie jener Inderin mittleren Alters, die, in einen gelben Sari gehüllt, zusammen mit ihrer Familie interessiert die erotischen Szenen betrachtet. Aber dann wird es ihr offenbar zu viel. Auf ein verlegenes Lächeln folgt schließlich der Griff zum schützenden Tuch, um das Gesicht zu verhüllen. Die "Mithuna" ("Kopf nach unten") genannten Akt-Skulpturen hinterlassen auch beim Ehemann Wirkung. Den Kopf leicht nach hinten geneigt und den Blick nach oben, starrt er mit offenem Mund und großen Augen auf die frivole Szenerie. "Was für ein Anblick", mag es ihm durch den Kopf gehen. Minutenlang verharrt er so vor der Tempelwand, bis seine Frau ihn schließlich wegzieht.

                      Ein französisches Paar, das auf die akrobatisch anmutende Akt-Szene aufmerksam wird, gesellt sich lächelnd hinzu, um alsbald die Frage zu diskutieren, die sich angesichts der ungewöhnlichen Position aufdrängt: Wie, bitte schön, soll das gehen?

                      Lauscht man einigen Gesprächen der Besucher, hört man heraus, dass viele beim Anblick der erotischen Darstellungen spontan an Kamasutra denken. Jenes altindische Lehrbuch der Liebeskunst, das vermutlich im 3. Jahrhundert verfasst wurde. Es gilt als Meisterwerk der Erotik. Vielen ist es lediglich als eine Art indischer "Stellungskatalog" geläufig, dessen Positionen sie fälschlicherweise in den versteinerten Akt-Positionen erkennen wollen.

                      Die Forschung geht jedoch davon aus, dass die Skulpturen in Khajuraho und ihre Anordnung eine tiefere Bedeutung haben und mit dem Tantrismus zusammenhängen, einer altindischen philosophischen Lehre, die auch sexuelle Riten zum Inhalt hat. Auch magische Schutzfunktionen schreibt man ihnen zu. Dass die erotischen Szenerien darüber hinaus auch der freudigen Unterhaltung dienten, gilt als wahrscheinlich.

                      Vornehme Zurückhaltung gegenüber den Liebestempeln übten jahrzehntelang und durch viele alte Auflagen hindurch auch die renommierten Indien-Reisehandbücher des Engländers John Murray. Man erwähnte zwar Khajuraho, aber bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts verlor man kein Wort zu deren pikanten Darstellungen. In Deutschland war es nicht besser. Als 1968 das Buch "Tempel der Liebesfreuden" erschien, erhielt es noch den züchtigen Vermerk "Sonderausgabe für Wissenschaftler und Forscher".

                      Heute gehen Reiseführer und Fachliteratur offener mit den einmaligen Kulturschätzen um. Und Besucher, die Daheimgebliebenen frivole Grüße aus Khajuraho senden wollen, können aus einem umfangreichen Postkartenarsenal mit mehr oder weniger geschmackvollen Motiven schöpfen.

                      Die alte Tempelstadt hat jedoch mehr zu bieten, zumal der erotische Anteil am gesamten Skulpturenensemble nur etwa ein Zehntel beträgt. Auch viele andere Figuren faszinieren durch Schönheit und Lebendigkeit: Götter und Fabelwesen, Tiere und Krieger, Tänzer und Musikanten - die Kunst am Bau ist ausgesprochen vielseitig. Herausragend sind die weiblichen Figuren, die üppig und zahlreich dargestellt werden, mal in verführerischen, mal in alltäglichen Posen: beim Entkleiden, Kokettieren, Musizieren oder Frisieren. Sogar der prüfende Blick in den Spiegel und das Schminken der Augen wurden eindrucksvoll in Stein verewigt.

                      Indien war eben schon vor 1000 Jahren ein Hort der Kultur. Was übrigens auch die Unesco erkannt hat: Sie setzte Khajuraho 1986 auf die Liste der Weltkulturerbestätten.

                      Literatur:

                      Krishna Deva: Temples of Khajuraho (2 Bände). Archaeological Survey of India, New Delhi 1990, S. 146 ff.

                      • Devangana Desai: Khajuraho. Oxford University Press, Oxford 2005, ISBN 978-0-19-565643-5
                      • Henri Stierlin: Hinduistisches Indien. Tempel und Heiligtümer von Khajuraho bis Madurai. Taschen-Verlag, Köln 1998, S. 129 ff. ISBN 3-8228-7298-9
                      • Marilia Albanese: Das antike Indien. Von den Ursprüngen bis zum 13. Jahrhundert. Karl-Müller-Verlag, Köln o. J., S. 146 ff. ISBN 3-89893-009-2
                      • Gisela Bonn: Khajuraho-Tempel der Liebe, Tempel der Götter. In: Indo-Asia, 18. Jh. Tübingen 1976.

                      Weblinks:

                      Commons: Khajuraho group of monuments - Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

                      • Eintrag auf der Website des Welterbezentrums der UNESCO (englisch und französisch).
                      • Khajuraho-Tempel - Fotos + Infos (englisch)
                      • Khajuraho-Tempel - Fotos
                      • Fotos der Khajuraho-Tempel

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